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HELDINNEN / SHEROES
Frauenmuseum Bonn, 11.05. - 31.12.2025
>Pool der Heldinnen<
Tusche auf Büttenpapier, 2010
Eine Heldin ist eine reale oder fiktive Person, die eine außergewöhnliche Tat oder Leistung vollbringt. Sie überwindet Widerstände oder Gefahren unter Aufbietung ihres Muts, ihres Verstands, ihres Intellekts, ihrer Verantwortung.
Heldinnen können Pionierinnen sein und Vorbildcharakter haben – immer sind sie Teil eines gesellschaftlichen Kontexts. Hinter historisch konnotierten Heldinnen können anonyme Weggefährtinnen stehen: namentlich unerwähnte Heldinnen.
Seit 2008 entsteht die Werkgruppe „Myriaden“. In der Serie „people ♀︎♂∗“ (*)
lege ich mit Tusche und Schablone eine Masse unzähliger Köpfe als All-Over-Komposition an. In steter Wiederholung der Silhouette entstehen dichte Reihen, jede Kopfform ergänzt den vorherigen, geht in den nächsten über. Geometrie, Muster, Raum und Rhythmus bringen die Masse Mensch in Bewegung.
In der Gruppe erscheint der Mensch als Massenwesen, dem setzte ich im letzten Arbeitsschritt Individualität entgegen. Mit freier Feder zeichne ich Gesichtszüge in die Silhouetten und vervollständige mit dem Japanpinsel Haare und Kleidung. So entstehen Unterschiede, zeigt sich differenzierte Individualität inmitten der Masse.
(*) weiblich, männlich, divers
Kerstin Krone Bayer
Frankfurt / Main im Juni 2025
33 Jahre Kunsttage Dreieich
> d r e i ß i g g r a m m <
Die goldene Kugel
Sinnbild
des psychischen Gleichgewichts
Symbol
der Vereinigung innerer Gegensätze
Ihre Position
½ innerhalb, ½ außerhalb
vom Glas geteilt in 2 Hälften
still ruhend
getragen von Skizzen und Protokollen
scheinbar suggerierend
das Rollen hinein
ins schützende Innere
der Schwerkraft folgend
der Fall in die Tiefe
Kerstin Krone Bayer,
Frankfurt / Main im März 2025
Unzählbare, lineare, ellipsenartige Grundformen sind bildgebendes Element in meinen auf wenige Farben reduzierten Tuschezeichnungen. Sie sind abstrakt und gegenständlich zugleich. Der Betrachterabstand zu den jeweiligen Arbeiten kann in die eine oder andere Lesart hineinführen.
In der Malerei ergeben ellipsenhafte bis kreisrunde Flächen abstrakte, farbintensive All-Over-Paintings. Das Zusammenspiel der Farben, die Überlagerung von Flächen bildet Räume, erzeugt Vernetzungen und Bewegung. Rhythmisch wird das Auge über die Leinwand geleitet sowie auch über die Leinwandfläche hinaus und wieder auf sie zurück.
Da mein künstlerisches Interesse um das ausbalancierte Spiel polarisierender Kräfte kreist, kreiere ich mit den kraftvollen Kompositionen der Leinwände und den zarten Papierarbeiten einen Spannungsbogen, der zwischen Stabilität und Fragilität, zwischen urwüchsiger Kraft und kontemplativer Stille, zwischen Materialität und Entmaterialisierung eine Balance findet.
Ausgewählte Gemälde und Zeichnungen treten in der Ausstellung in einen unmittelbaren Dialog, sodass sich zwischen Malerei und Zeichnung eine ganz eigene Poesie entwickelt.
Kerstin Krone Bayer
Frankfurt am Main, im Oktober 2024
w e r k b u n d / hear the colour feel the line
Kunstraum Becker / klärt sich das Wasser ° werden die Steine sichtbar
Einführung
Die Idee, die Einführung zu übernehmen, entstand während der Vorgespräche im Atelier, die Ralf Becker und ich führten und verfestigte sich für mich während Planung und Aufbau der Ausstellung. Erwähnen möchte ich auch, dass unser beiderseitiges Interesse für die bildenden Künste im traditionellen China und Japan, der sogenannten ZEN - Malerei und - Zeichnung sowie der farbintensiven Holzschnitte, eine Rolle spielte: Denn während ich an der Zeichnung P a n o r a m a für diese Ausstellung arbeitete, schenkte mir Ralf ein Buch mit Abbildungen zahlreicher Farbholzschnitte des japanischen Künstlers Hiroshige. Die Art und Weise wie Hiroshige mit Farbe arbeitete, zart und reduziert, dennoch kraftvoll und intensiv weckte mein Interesse und blieb nicht ohne Einfluss: ich setzte in dieser Zeichnung farbige Tusche ein.
Das Faszinierende, was sich für mich in dieser traditionellen Kunst verbirgt, ist die Ausgewogenheit der Polarisierung von Abstraktem und Konkretem, von formaler Strenge und spontanem Duktus des Pinsels und der Feder, von urwüchsiger Kraft und kontemplativer Stille.
In meinen Arbeiten suche auch ich immer wieder eine Ausgewogenheit von Gegensätzen zu finden. Es ist die Suche innerhalb einer Arbeit in der Spannung zwischen polarisierten Kräften eine Balance zu finden.
Die im großen Raum gezeigte Installation P a n o r a m a eine siebenteilige Tuschezeichnung, gehört zu meiner Werkgruppe M y r i a d e n , an der ich seit 2014 immer wieder arbeite.
Ganz auf das Zeichnen mit Feder und Tusche konzentriert, fügte ich Ellipse an Ellipse, oder anders ausgedrückt Stein an Stein an Stein. Aus dem rhythmischen Wechsel des Strichs der Zeichenfeder und der Fläche des Pinsels reihte sich ein Berg an den anderen, passte sich mit Größe, Form, Struktur, Tonwert und Farbigkeit dem vorangegangenen an, fast so, als würde das Motiv sein eigenes Bild schaffen.
Im Prozess des Zeichnens änderte ich die begonnene, unserer Leserichtung entsprechende Arbeitsrichtung von links nach rechts, sie schrieb sich von rechts nach links fort. Der Beginn der Arbeit liegt dadurch in der Mitte des Panoramas. Sie markiert den optimalen Standort, um die Zeichnung als Ganzes zu erfassen, aber auch um festzustellen, dass sie sich imaginär im außerbildlichen Bereich fortsetzt.
In dieser Arbeit beschäftigten mich die polarisierenden Kräfte von Fragilität und Stabilität und von Innen und Außen. Aus der Distanz betrachtet stellt sich die Zeichnung als Panoramabild einer massiven Bergkette dar, Symbol für Dauer und Beständigkeit. Aus der Nähe betrachtet, stellt sie sich jedoch neu und anders dar, Stabilität und Unverrückbarkeit weichen. Steinerne Erdplatten scheinen sich zu
Verschieben, Massen von Ellipsen unterschiedlichster Form und Beschaffenheit ins
Rutschen zu geraten. Weniges erscheint nun mehr fest und konstant, schwindet ins kleinteilig Abstrakte. Aus dieser Perspektive wird das verborgene Innere der Berge sichtbar, so, als wären Bewegungen vom Inneren unseres Planten nach außen gekehrt.
Bevor ich auf die 2. Rauminstallation eingehe, möchte ich kurz einige Sätze zum Titel sagen: k l ä r t s i c h d a s W a s s e r ° w e r d e n d i e S t e i n e s i c h t b a r. Ich wählte dieses Haiku, da die 2 Gedichtzeilen auf wunderbare Weise benennen, was ich gerade an der Zeichnung zu beschreiben versuchte:
k l ä r t s i c h d a s W a s s e r steht für mich als Metapher für Veränderung und Wandlung, auch für Erkenntnis durch Hinschauen und Begreifen. Vorher Verborgenes,
eben durch trübes Wasser oder aufgrund einer räumlichen Distanz, wird nun sichtbar. Es sind die Steine, die erkennbar werden. Steine auf dem Grund des Gewässers, Steine, aus denen ich den Gebirgszug gezeichnet habe.
Die Installation B o r s t e n k u g e l n oder b r i s t l e s p h e r e s im gläsernen Ausstellungsraum thematisiert die Balance zwischen Ruhe und Spannung und zwischen Stillstand und Veränderung. Sie ist ebenfalls eine Arbeit meiner Werkgruppe
M y r i a d e n. Zarte, flexible Naturborsten verhakten sich durch Roll- und Drehbewegungen aus einer unzählig großen Menge einzelner Borsten zu einer gewebeartigen Struktur. Durch die Wiederholung meiner rhythmischen Bewegungen wurde das Gewebe zu einem Netz, das sich in Form einer Hülle immer wieder übereinander legte und sich so zu einer stetig größer werdenden Kugel formte. In kontemplativer Ruhe liegen die drei Objekte auf der matt silbrigen Bodenplatte und bilden eine Triade, eine Gruppe aus drei Einheiten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen, individuellen Größe und Farbigkeit treten sie in eine strukturelle Beziehung, die Spannung erzeugt, untereinander und zum Raum.
Die drei Kugeln verweisen jede für sich aufgrund ihrer Leichtigkeit, Zartheit und haarigen Gestalt auf eine poröse und zugleich kompakte Beschaffenheit. So liegen sie da, ruhig in ihrer Position. Der Stillstand ist jedoch nur ein Moment. Vereinzelt auf der Bodenfläche liegende Borsten zeigen, dass sich die drei Kugeln, wie es Kugeln eigen ist, auf der Platte bewegt und Bewegungsspuren hinterlassen haben. Die Positionierung der Objekte verliert dadurch ihre scheinbare Unabänderlichkeit. Leicht angestoßen, vielleicht auch durch einen kräftigen Windstoß, durch Zugluft würden die Kugeln auf der glatten Fläche geräuschlos in eine andere Position des begrenzten gläsernen Raums rollen, ein anderes / ein verändertes Bild würde sichtbar.
Kerstin Krone Bayer
Frankfurt / M. 2022
WE WANT YOU ... newpussyarmy
lautet der Titel des Kurzvideofilms von Kerstin Krone Bayer, Hanna Rut Neidhardt, Fiona Léus und anderen, im Zentrum die Darstellerinnen der newpussyarmy. Das Video, einer der Höhepunkte der Arbeit aus zwei Jahren der Performance newpussyarmy, collagiert die Situation von Frauen vor 100 Jahren und heute.
Die Initiatorinnen inszenierten - zunächst in memoriam 1919, im Wesentlichen aber darüber hinaus denkend- eine Tanzparade mit historischen Zitaten, aber auch mit selbstironisch-parodistischen Elementen, um weibliche Identität durch Bilder und Aktionen zu formulieren, darzustellen und damit zu stärken.
WE WANT YOU gilt für die Gegenwart und die Zukunft.
Die newpussyarmy begreift sich als globales Phänomen. Die Truppe wurde nicht rekrutiert in den Elfenbeintürmen der Künste, sondern sie wurzelt im Nährboden einer Stadt für alle.
Frankfurt 2020
Konzept für Kunstraum Habernoll / Metamorphosen
Der Kreis ELIZA
Das Grün des Art Tree der temporär zur Weihnachtszeit von Dezember 2020 bis April 2021 mitten auf dem Dorfplatz von Götzenhain / Dreieich stand wurde im laufe der Monate dunkler, es verlor jedoch nicht an Strahlkraft. Hervorgerufen wurde dieser Effekt durch den weißen Kreis aus Marmorkieseln, der den Umfang des Wurzelgeflechts imaginär nachzeichnete und großflächig den Stamm umgab, weit über den ausladenden Umfang der Zweige hinaus. Dominant behauptete sich der Kreis auf dem Dorfplatz und unterstrich Größe und Pracht des Art Trees.
Dieser Farb-Effekt inspirierte mich, mit dem Grün des Baums, das Weiss des Kreises in einen grünen Kreis zu verändern, eine Transformation von Weiss (Winter) in Grün (Frühling) zu vollziehen und die harte, kalt anmutende Oberfläche in eine weiche, fellartige zu verwandeln.
Der Kreis und auch die Kugeln sind Formen, die mich interessieren und von daher immer wieder in meinen Arbeiten auftauchen. Sie sind abstrakt und gegenständlich gleichermaßen und sie begleiten seit jeher als Symbol des Vollkommenen das menschliche Dasein.
Vier in schwarz gekleidete Akteure kappten in einer performativen Aktion die zarten, biegsamen Spitzen der Zweige der Tanne und ließen sie auf den Steinkreis rieseln. Weitere Spitzen und Nadeln wurden geschnitten, gezupft und gesammelt. Diese Spitzen dienten mir als Flechtwerk mit dem ich Zentimeter für Zentimeter den Steinkreis überzog, so,dass er sich langsam optisch und haptisch zu wandeln begann. Auf dem Dorfplatz entstand ein großflächiger, nach Tannennadeln duftender kontemplativer Kreis, es entstand die Plastik ELIZA.
Diese ortsbezogene Plastik ist vergänglich, doch durch eine Fotografie festgehalten, wird sie Bestand haben. Die Fotografie ist dann das Dokument aber auch das Werk selbst.
Kerstin Krone Bayer
Frankfurt / M. 2021
Spielsteine
Er legte sich hinter den Grashalm, um den Himmel zu vergrößern. Noel Butëau
Winzig kleine detailgetreue Modellbaufiguren erzählen Geschichten. Der zu Quadern gekantete Stein ist Bühne und definiert für die Inszenierung der Miniaturfiguren von Krone Bayer den dazugehörigen Raum.
Auf den ersten Blick scheint es sich in den dargestellten Szenen um alltägliche Ereignisse, um Abbildung von Realität zu handeln. Erst der zweite Blick lässt im Gewohnten irritierend Fremdes aber auch Groteskes oder gar Unheimliches erkennen und somit ein Schauspiel verborgener innerer Seins-Zustände erahnen.
Aus heim-elig wird un-heim-lich. Diese Deutbarkeit nimmt den Figuren ihre Harmlosigkeit, enthebt sie ihrer Funktion, Spielzeug zu sein.
In den Arbeiten seit 2018 sind die Figuren bearbeitet: Körper verdoppelt, gespalten, Gliedmaßen abgetrennt, Köpfe neu montiert, vertauscht oder nicht vorhanden. Das Unheimliche, das Irritierende zeigt sich nicht ausschließlich im Narrativ der Spielszenen, es wird durch Deformationen der Körper verstärkt. Amputierte und Mutierte verweisen auf das Fremde ...... in der Welt und uns selbst.
Das erste Objekt entstand 1996. Immer wieder greift Krone Bayer die Arbeit an der Serie Spielsteine auf. Mittlerweile gibt es über 180 Exponat
© N.N. 2020
Einführungsrede zu "The Univers is Big enough" 2018, Galerie Schamretta, Frankfurt / Main
Kerstin Krone Bayer holt im Titel „The univers is big enough“ gewaltigen Schwung um uns sanft zu berühren.
In der Ausstellung in der Galerie Schamretta in Frankfurt / Main versammelt sie Werkgruppen zu einem Triptychon, führt unseren Blick vom Mikrokosmos zum Makrokosmos, vom Unzählbaren zum Zählbaren.
Die Künstlerin will zeigen: Alles interagiert mit Allem. Wir betrachten den Kosmos und sind doch gleichzeitig Teil von ihm, ein Widerspruch, der nicht zu begreifen ist. Wir kreieren allein durch unsere Anwesenheit alles um uns herum. Realität.
Die Kunst ist das Instrument der Erkenntnis, so wie wir durch den Gebrauch eines Fernrohres feststellen, dass der Sternenhimmel unendlich viel weiter ist, als wir das mit unseren Augen wahrnehmen, so können wir mit Hilfe der Kunst tiefer in das Innere der Welt schauen.. und: Ein Kunstwerk ist immer eine Frage, nie eine Antwort.
In der zentralen Arbeit „Die Töchter der Töchter der Töchter“ erschafft Krone Bayer Avatare, die Fragen im Zusammenhang mit dem Begriff der Individualität ins Spiel bringen. Was ist Ähnlichkeit? Ist Ähnlichkeit Gleichheit? Ist das, was wir das „ich“ nennen überhaupt stabil? Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin, Krone Bayer beschäftigt sich mit Grundfragen unserer Existenz. Der Blick des Malers wird in den Blick einer Malerin umgedreht. Der Kelch, Teil der Installation, deutet die Transformation an. Zeit ist unwichtig in der Kunst.
Vorbereitet wir alles in den flankierenden Werken: den „Myriaden“ und den „Red Cuts“, letztere sind chirurgische Präparationen kommunikativer Begriffe.
Kann die Realität überhaupt erkannt werden wenn das zu erkennende Reale aus individuellen Dingen und Tatsachen besteht, aber unsere Begriffe, die als Mittel der Erkenntnis dienen, allgemein sind? .
Gibt es den Zufall? Besteht die Welt aus Mathematik? Ein Kunstwerk kann nie zu Ende erklärt werden.
© Jörg Simon, Frankfurt 2018
Die Arbeit von Kerstin Krone Bayer mit dem Titel „Fremde sind wir uns selbst“ sehen Sie hier auf dem Dorfplatz. Ein Teil des Baumstamms dient als Sockel für eine phantastische Miniaturwelt, abgeschirmt durch eine Glaskuppel.
Wie auf einer Bühne entfaltet sich eine Szene von der Begegnung zwischen Menschen und geflügelten menschlichen Wesen. Durch den Gegensatz von Kleidung und Nacktheit und vor allem durch die Flügel der Ankömmlinge entsteht eine Differenz zwischen vertrauten und unbekannten Wesen. Die Begegnungen finden auf verschiedenen Ebenen statt: Wie exotische Objekte werden die Geflügelten fotografiert, manchmal sogar verfolgt, aber auch sie folgen ihren Betrachtern, die dann wiederum Abstand suchen. Es scheint immer um Nähe und Distanz in der Kontaktaufnahme zu gehen.
Man ist versucht, mit dem dezidierten Hinweis auf das Fremde im Titel den Bezug zur aktuellen Flüchtlingsthematik herzustellen. Ausgeschlossen ist ein solcher Bezug sicherlich nicht, allerdings weniger als Illustration unserer einseitigen Beziehung zum Fremden als vielmehr zu einer allgemeinen Erfahrung des Fremdseins von uns allen.
Aber der Titel liefert den Hinweis, dass das Denken von Kerstin Krone Bayer in eine andere Richtung geht, indem sie ihren Titel „Fremde sind wir uns selbst“ von einem Buch der französischen Psychoanalytikerin Julia Kristeva übernimmt. Kristeva schreibt: „Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewusstsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen.“ Gemeint ist mit dem Fremden also auch das Andere im eigenen Unbewussten, Anteile, die unversöhnlich in uns selbst angelegt sind. Das Ergebnis eines solchen Denkens – dass also im jedem von uns Anteile von Fremdheit sind und bleiben – kann nur sein dem Fremden nicht mit Furcht, sondern mit Respekt zu begegnen.
© Ulrike Kuschel, 2015
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Holz:Weg“, Götzenhain / Dreieich
Heute begegnen wir in Götzenhain unter dem Titel „Holz:Weg“ künstlerischen Arbeiten, die sich um einen spezifischen Baum ranken, genauer um eine Platane, die im Hof der Gaststätte Hofgarten stand. In der Kunst ist der Baum ein bedeutungsreiches Symbol; er wurde oft als starker Repräsentant des Pflanzenreichs und als Sinnbild göttlicher Wesenheiten oder als Aufenthaltsort geheimnisvoller Mächte verehrt. Insbesondere der Laubbaum mit seinem sich alljährlich erneuernden Blattkleid ist ein starkes Symbol des Lebens, das den Tod immer wieder aufs Neue besiegt. Und die Gestalt des Baumes mit seinen der Erde verhafteten Wurzeln, seinem stabilen und steil senkrecht aufsteigenden Stamm und der scheinbar dem Himmel zustrebenden Krone ließen ihn zu einem Symbol für die Verbindung der unterschiedlichen Bereiche der Unterwelt, des Lebens auf der Erde und des Himmels werden. .............
Kunst trägt m.E. Verborgenes an sich, so kann es schwierig erscheinen in einem klaren, wissenschaftlichen Diskurs an sie heranzukommen. Es bietet sich an, einen anderen, weniger analytischen eher assoziativen Weg zu wählen. Diese Überlegung führte mich dazu Dr. Eliane Beaufils, Professorin für Theater und Performances an der Universität Paris 8 anzusprechen. Für den Katalog zu meiner Ausstellung - e n d l o s ein Rundgang - im Kunstraum Bahnhof Mainkur in Frankfurt am Main, 2012 schrieb sie folgenden Text:
Blicke
In den sechs Räumen des ehemaligen Bahnhofs, in denen noch immer die
Spuren der einstigen Nutzung sichtbar sind, sind Arbeiten von Kerstin Krone
Bayer zu sehen: Malerei, eine Installation und ein Video. Im Rundgang durch
die unterschiedlichen Räume wandelt sich mein Zugang zu den Arbeiten,
die sich mir wie Tageszeiten öffnen und wechseln: Hier meine prägendsten:
Steine
Sie sind poliert, glänzend, gleichen Kinderschätzen. Sie sind
wohlgeordnet in einem harmonischen Ganzen, ohne dass sich ihre Ordnung
beschreiben ließe. Krone Bayer entfaltet ihre Steinfelder, wie andere ihren
Fächer entfalten. Ich bin erstaunt, dass die Steine derart im Rahmen bleiben,
denn sie könnten sich endlos weiter aneinander reihen, sich weiter aneinander
schmiegen, einer in den anderen übergehen; sie weisen über sich hinaus
in einer ihnen fremden und doch gelassenen Bewegung.
Jedes Bild fügt sich anders. Mal wird es rund wie ein Rollstein, freudig
leidenschaftlich bunt; mal sind die Steine samten und entziehen sich ihren
eigenen Konturen. Oder sie sind grün und feiern die Symbiose mit dem
organischen Leben. Es ist erstaunlich, wie viel Nuancen mich in dieser Stille
einnehmen. Das Leben der Dinge zieht mich mit, immer fort und immer weiter.
Landschaft
Ich betrete die Schalterhalle. Der Raum ist nicht sehr hell, das Licht eher diffus.
Die zehn Ölkreidearbeiten drängen sich nicht auf. Sie sind klein und geheimnisvoll,
eröffnen Blicke, die sich einfach nur fort zu träumen wünschen.Es geht um
Meere und Berge, um Himmel, Hügel und Wolken. Die Kontemplativität,
die sie beseelt, schöpft aus der Schönheit des Unmöglichen: ein
dunkler heller Himmel, der in ein heiter blaues Meer übergeht; hellviolettes
Azur auf grünsamtenen Hügeln. Oder sie schöpft aus der Heimlichkeit der
Träume: scharfe Riffe vom Schaum durchbohrt.
Zuweilen öffnen die Landschaften den Vorhang auf ein Unbekanntes: luftige,
blasse Schatten ohne Grenzen zwischen Himmel und Meer, oder ist es
Meer und Erde; ein glitzerndes Band, funkelnd wie Wasser oder der Weg in
Unverhofftes. Ich denke nicht mehr in Grenzen, meine Kontemplation stößt
sich an nichts. Ich werde eingeladen … ins End- oder ist es das Zeitlose.
Der Raum im Raum
Über eine kleine Rampe, durch ein Fenster, schleuse ich mich in den nächsten
Raum, den Gepäckraum ein. Hier ist ein weiterer Raum, ein weißgrauer
Kubus installiert. Eine Tür, die ihn öffnet, ist nicht vorhanden. Wieder
wird mir ein Eindringen, diesmal mit den Augen, über ein Fenster gewährt.
Mein Blick erwartet Wände, Begrenzungen, Enge. Die Strahlen, die aus dem
schwebenden Kubus treten, sprengen meine Vorstellungskraft. Sie glänzen
in den Ur-Farben des Lebens, Grün und Rot, dann verlieren sie sich in ein
unendliches Nichts. Ich stehe vor dem Mysterium des Seins und schöpfe aus
seiner Unendlichkeit.
Furt
Zwischen Steinen plätschert der Bach. Das Wasser fließt und rauscht, es
rutscht über die Lehmsteine und verabschiedet sich, geräuschlos und dann
wieder im winkenden Gluckern, es entzieht sich meinem Blick und dreht lockere
Spiralen, Kurven, die den Kanten der Quader trotzen. Wie plastisch
dieses ungreifbare Wasser doch ist, wie anmutig seine Geräusche. Die Furt
ist verschwunden, der Film lebt und ich bleibe.
© Eliane Beaufils, 2012
Einführung zur Ausstellung - dazwischen - , Städtische Galerie, Sprendlingen 2008
dazwischen
Es ist heute allgemein unstrittig, dass die DNA eines Menschen und eines
Schweins zu 97 % übereinstimmen. Weniger Übereinstimmung mag darüber
herrschen, ob die restlichen 3 % für unser Verhalten entscheidend sind
oder nicht. Obwohl das Humangenomprojekt nicht wenige wissenschaftliche
Erkenntnisse liefert, die hilfreich für die Menschheit sind – angenommen,
deren Mehrheit überlebt den bevorstehenden Klimawandel –, kann
es doch keine der existenziellen Nüsse knacken, wie etwa was es heißt, ein
Individuum zu sein, bzw. die Frage „Wer bin ich?“ im Gegensatz zu „Was
bin ich?“ beantworten.
Mit der Antwort auf solche Fragen hat sich traditionell die westliche
Philosophie beschäftigt, die Fragen dieser Art jedoch in der Regel an
Geistliche oder Künstler delegiert hat. Das ist auch heute noch der Fall,
vielleicht weil die Antworten, welche die Neuro-Wissenschaftler anbieten,
so faszinierend sie auch sein mögen, genauso wenig Trost spenden wie die
Psychoanalyse, wenn mitten in einer dunklen Nacht die Einsamkeit an die
Tür klopft. Der Einsamkeit lässt sich, wie jedes Kind weiß, am besten ins
Auge sehen in Begleitung eines Teddybären. Und nach Meinung der meisten
Soziologen ist Einsamkeit ein Gefühl, dass wesentlich zur modernen
industriellen Massengesellschaft gehört, selbst wenn sie sie dann mit
Kategorien wie ‚Schrecken der Anomie‘ oder ‚Angst‘ beschreiben. Als Teil
der conditio humana in der industrialisierten Welt ist sie ein Gefühl, das
jeder kennt, aus deren gemeinsamer Teilhabe aber die Leute, von den
Existenz-Philosophen gar nicht zu reden, keine Hilfe gewonnen haben.
Und die Naturwissenschaften konnten, außer empirisch seine Existenz zu
belegen, den Begriff auch nicht genauer definieren. Einsamkeit scheint
stattdessen dazu bestimmt, in Songs oder in der Kunst behandelt zu werden.
Die Künstlerin Kerstin Krone Bayer widmet einen großen Teil
ihres Werks der Erforschung eben dieses Gefühls des Alleinseins in und mit
der Einsamkeit. Sie skizziert, wie Einsamkeit uns von der Kindheit bis ins
Erwachsenenalter bestimmt, wie sie die Art und Weise, in der wir uns als
‚Individuum‘ oder ‚Person‘ in der Gesellschaft verstehen, durchzieht. So
gesehen handeln ihre Werke von Traurigkeit und Verlorenheit, von Verlust
oder Verlorensein. Das heißt aber nicht, dass sie nicht immer auch einen
Zustand verheißen, in dem schon im nächsten Augenblick diese Einsamkeit
aufhört und wir in der Präsenz anderer Trost finden können. Die Arbeiten,
die sie in der Ausstellung dazwischen zusammengestellt hat, handeln
alle davon, wie wir in der Luft hängen, in einer Welt, die zwischen Einsam -
keit und Freude über die Gegenwart zumindest eines Anderen gefangen
ist. Selbst der winzige Teddybär, der von seinem Standort auf einer großen
Stele einer ihrer Spielsteine ( Nr. 27, 2006; 5,7 x 5 x 4,5 cm) in die Luft
schaut, scheint seine Angst mit seinem Partner auf der felsigen Klippe teilen
zu wollen.
Alleinsein und Einsamkeit nur als absonderliche Zustände zu betrachten,
hieße sie als existenzielle Angst misszuverstehen, anstatt sie als Quelle der
Stärke zu nutzen.„Der Wunsch, vom Leiden befreit zu sein, ist das legitime
Anliegen jedes menschlichen Wesens … Doch so lange wir Leiden als
unnatürlichen Zustand ansehen, als etwas nicht Normales, das wir fürchten,
vermeiden und ablehnen, werden wir niemals die Ursachen des Leidens
ausrotten und anfangen, ein glücklicheres Leben zu führen.“ Die
Erkenntnis, dass das Alleinsein zum Leben gehört wie der Tod, mag eine
der Einsichten sein, die diese Steine in prekärem Gleichgewicht (ähnlich
wie die Giacomettis) vermitteln können: Wenn wir in Harmonie mit uns
selbst leben und auf die Welt schauen können, kann uns nichts in den
Abgrund darunter ziehen. Denn für den von seinem unheimlichen Stein in
die Ferne blickenden Teddy gibt es gewiss keinen Himmel und keine Hölle,
sondern nur Weite. Oder, da er seinen Koffer bei sich hat und nicht gerade
angekommen ist, hat er offensichtlich gerade beschlossen, diese einsame
Welt zu verlassen und woanders hinzugehen.
Wird in den Spielsteinen auf die Insignifikanz des menschlichen Daseins
durch den Kontrast zwischen den kleinen Figuren oben auf den Steinen
und der Größe der sie umgebenden Welt (und eben von uns selbst) angespielt,
widmet sich die Künstlerin in der SERIE ZWEI Black & Sepia (2007;
20 x 20 cm) einem ähnlichen Thema von Einzigartigkeit/Einsamkeit. Es gibt
allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die Steine sind hier durch
schwarze Japantusche auf Papier ersetzt, die Figuren haben einen zweckhaften
Bewegungsdrang und sind nun nicht mehr passiv. Es sei hinzugefügt,
dass die Tusche-&-Pinsel-Figuren weniger präzise als ihre Gegen -
stücke auf den Klippen erscheinen. Sie sind leicht verschwommen bei
ihrem Ausschreiten in die Welt, und das Universum ihrer Absichten ist leer
gelassen und löst sich im Weiß des Papiers auf. Bei aller mangelnden
Deutlichkeit scheinen diese Figuren aber zu wissen, was sie tun. Doch sie
sind allein dabei, denn das ist vielleicht der Preis für den angeblichen Wert
des ‚Individualismus‘: Die Kehrseite von Individualismus ist Egozentrik.
Keine Mutter oder Großmutter, kein Bruder, keine Schwester sind da, um
Dich an der Hand zu nehmen. Wenn Du Dich als erwachsenes Individuum
verhältst, hast du keinen Teddy bei dir (wenn doch, erwähnst du es nicht,
wenn du irgendwo zum Abendessen eingeladen bist).
In der SERIE DREI Red Cuts (2008; 20 x 20 cm) führt Krone Bayer das
Thema einen Schritt weiter, jetzt ist das tödliche Schwarz durch blutrote
Japantusche auf Papier ersetzt, das Format der Blätter hingegen weitgehend
gleich geblieben. Die Aufmerksamkeit liegt hier, wie es scheint, auf
Paarverhältnissen: entweder in der Form von Ablehnung oder Bindung,
das eine kann ohne das andere nicht bestehen. Man könnte versucht sein,
das auf die Biographie der Künstlerin zu beziehen, denn sie hat einen
Zwillingsbruder, doch das hieße, die Bandbreite an Bedeutungen dieser
sterbensroten Arbeiten, mit ihren bewussten Unschärfen oder einem klareren,
satteren Einsatz der Tusche zur Schaffung einer größeren Detailfülle
auf der Mikroebene, zu stark einzuschränken. Bei all den Antagonismen
und Polaritäten, die in diesen Bildern zu erkennen sind, verwandeln sie im
Wesentlichen die Frage der Isolation in eine sowohl der gegenseitigen
Abhängigkeit als auch Unabhängigkeit voneinander; sie lassen spürbar
werden, dass wir uns nur durch ständiges Schwanken zwischen Wider -
sprüchen gegenüber einem anderen einerseits und Verknüpfungen mit
ihm andererseits definieren. Aus der Einzelperson der früheren Serien sind
hier zwei Personen geworden; ob sie miteinander identisch sein mögen,
jung oder alt, sie scheinen auf diesen Blättern nur durch den jeweils anderen
zu existieren. Dadurch verschiebt sich das beackerte Feld unbeabsichtigt
vom westlichen Denken zur östlichen Philosophie. „Alle Phänomene
können so verstanden werden, dass sie von einem Ursprung abhängen,
denn wenn wir sie analysieren, erkennen wir schließlich, dass sie keine
unabhängige Identität besitzen. … So ist jemand nur Elternteil, weil er oder
sie ein Kind hat. Als eine Tochter oder ein Sohn wird jemand wiederum nur
bezeichnet in Bezug auf die Tatsache, dass sie oder er Eltern hat. ...
Nehmen wir das Bewusstsein selbst zum Gegenstand unserer Untersuchung,
erkennen wir, dass, obwohl wir dazu tendieren, es als etwas Wesenhaftes
und Unveränderliches zu betrachten, auch das Bewusstsein am besten als
von einem Ursprung abhängig zu verstehen ist. Denn es ist schwer, eine
Entität namens Geist oder Bewusstsein jenseits der individuellen
Wahrnehmungs-, Denk- und Gefühlserfahrungen zu postulieren.“
Vielleicht bleiben Krone Bayers Figuren aus diesem Grund weitgehend
Umrisse, ohne fleischliche Substanz, Silhouetten des Selbst, die letzten
Blutflecken, die das organische Leben hinterlassen hat.
Dieser Gesichtspunkt wird aus einem anderen Blickwinkel wieder aufgenommen
in Krone Bayers SERIE VIER People (2008), in der die individuelle
Identität bis zu den winzigsten Variationen in der DNA multipliziert ist. Der
Mensch wird hier zum Massenwesen, die Konturen von Mann und Frau
hängen gänzlich von denen ihrer Mitmenschen ab – als könnten wir
Identität nur durch das Auge einer Fliege wahrnehmen. So entsprechen
dann auch die Bilder der SERIE VIER genau der Klassifikation der Masse,
die ihr erster und bedeutendster Erforscher, Elias Canetti, vornahm, der
(wenn er nicht gerade die Kamelherden in Marrakesch studierte) die Haupt
eigenschaften der Masse so zusammenfasste: „Folgende vier Züge sind
hervorzuheben: 1. Die Masse will immer wachsen. … 2. Innerhalb der Masse
herrscht Gleichheit. 3. Die Masse liebt Dichte. 4. Die Masse braucht eine
Richtung.“ In der SERIE VIER spielt Krone Bayer implizit alle vier
Definitionen gleichzeitig durch. Wenn die Massengesellschaft auf der
Masse basiert, dann ist in einer solchen Welt Identität eine Sache minimaler
Unterschiede. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass Canetti zwischen
„Masse“ und der ursprünglicheren „Meute“ unterscheidet: „Alle Formen
der Meute …haben die Neigung, ineinander überzugehen. So konstant die
Meute in ihrer Wiederholung ist, so sehr sie sich ähnelt, wenn sie wiedererscheint,
in ihrem separaten, einmaligen Ablauf hat sie immer etwas Fließendes.“
Die Worte „Meute“ oder „Urhorde“ haben heute einen negativen Klang und
wirken bedrohlich, betrachten wir dagegen die Tuschezeichnungen, die
Krone Bayer geschaffen hat (die an Installationen von Thomas Bayrle ohne
deren politische Seite erinnern), dann erscheint es, als seien hier Masse und
Meute eins geworden. Als Individuen existieren wir in der Masse der Gleichen
und verwandeln uns doch ständig wie in der Meute, aber nur dadurch haben wir
überhaupt erst so etwas wie eine Identität. Die Gesichter in der Masse gehen
ineinander über und doch ist jedes anders und individuell.
Ein Bereich der modernen Massengesellschaft, der bei manchen negative
Konnotationen hervorruft, ist der Massentourismus, der Bilder dicht bevölkerter
Strände, überfüllter Läden und Hotels, die an Hasenställe erinnern,
heraufbeschwört. In einer solchen Wirklichkeit kann man sich Krone Bayers
SERIE FÜNF Landschaft (seit 2006; Ölkreide auf Papier, 21 x 30 cm),
die eine Welt aus von der Masse unberührten Landschaften vor uns ausbreitet,
kaum vorstellen: Es sind abgelegene Weiten, in denen der Mensch
so gut wie keine Spuren hinterlassen hat. Wir sind hier in einer (natürlichen?)
Welt angekommen, die nicht vom Menschen gezeichnet ist, eine
Umwelt, in die er nicht eingreift. (Das kann nur eine Utopie sein, die Welt
die keinen Ort hat, weil es niemanden gibt, der ihn bezeugen kann.) Doch
die Ölkreideserie erinnert zugleich an Postkartenbilder – das Verhältnis der
Seiten längen ist fast dasselbe wie bei den allgegenwärtigen 9 x 13 Karten.
Von daher mag die Form (bestimmt zur Mitteilung menschlicher Gegenwart)
als harter Kontrast zum Inhalt gedacht sein. Bei genauerer Betrachtung hat
Krone Bayer nämlich den Aspekt der massenhaften Reproduktion mit dem
Herstellungsverfahren unterlaufen. Mit einer Feinfühligkeit, die an einen
chocolatier oder Uhrmacher denken lässt, hat sie die Ölkreide-Flocken mit
den Fingerspitzen aufgetragen, dabei aber keine Vergrößerungsoptiken
benutzt, denn das würde wiederum die Omnipräsenz der Massentechnologie
bestätigen. Diese Arbeiten sind also im zweifachen Wortsinn besonders, da
sie nicht dem Takt der Zeit, aus der sie stammen, folgen. Diese Asynchronität
erscheint hingegen im Kontext der anderen Serien völlig logisch. Denn alle
fünf Serien zeichnen sich insgesamt durch genau die Fähigkeit aus, ein veraltetes,
doch zugleich ungemein zeitgemäßes Thema so überraschend anzugehen, weil
jede von ihnen als ein Medium der Sache so angemessen erscheint: Jede
exemplifiziert auf je eigene Weise einen Begriff von Identität, der die Frage
„Wer bin ich?“ auf neue Art und Weise stellt, einfach weil der Fingernagel
(das archetypische Kratzwerkzeug), der Pinsel, die Tusche oder die Steine in
einer von der Immaterialität und Multiplikation digitaler Bilder geformten Welt
so altmodisch sind. Das kann ihnen dauerhafte Bedeutung in einer Welt sichern,
in der Bilder sonstschneller verschwinden, als man sie anklicken kann. In diesem
Sinn liegen Krone Bayers Arbeiten dazwischen, zwischen dem Historischen und
Zeitgenössischen. Und die Antwort, die sie geben, findet sich in dem Blut,
das durch Liebe bindet, denn „can’t live, if living is without you.“
Jeremy Gaines, 2008
Übersetzung: Hubert Beck